1952 – Auswandern nach Australien

EINWANDERER ZWISCHEN ZWEI WELTEN

Australienartikel aus dem Jahre – Der Spiegel:  1952 – Auswandern nach Australien.

auswanderungSchiffslinien der Australienfahrt verdienen heute doppelt: nach dort an Auswanderern und von dort an Rückwanderern. Zu stranden braucht niemand im fünften Kontinent, denn auch die Enttäuschten haben schnell genug verdient, um die Rückfahrt nach Europa bezahlen zu können. Auf jeden siebenten Einwanderer entfällt heute so ein Rückwanderer oder ein Australier, der von seinem eigenen Lande genug hat. Jeden packt irgendwann diese Krise, jene Verzweiflung an Australien und an sich selbst; die Europäer packt es spätestens in drei Monaten. Manchen Deutschen traf ich in Sydney, Melbourne oder Perth als ein Häufchen seelischen Elends an.Wer aber dieses, oft nur vermeintliche Heimweh übersteht, wird meist bleiben. Echte Pioniere werden dort immer ihren Weg machen. Die Chancen dieses riesigen Kontinents sind einfach zu groß, trotz aller Schwierigkeiten.

Mancher aber schafft es nicht; beispielsweise jener junge Holländer an Bord der „Otranto“, der meist schon vor dem dritten Whisky die Australier auf die restlichen vier Kontinente verteilen, ihre Häfen mit Stacheldraht abriegeln und den Kontinent selbst auf allen Weltkarten ausradieren wollte. Zwei Jahre lang hatte er es in Australien versucht, beim Bau von Bahnen und Häusern. Aber schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitsneid, Gewerkschaften und unverträgliche Arbeitgeber trieben ihn wieder in die Heimat. Mit ihm fuhr eine junge Schweizerin zurück, die drüben eine „gute Partie“ nicht gegen die Eintönigkeit des australischen Alltags und Sonntags eintauschen wollte.

Herrlich dagegen fanden es jene jungen Berliner Handwerker von Bronte Park, im Herzen Tasmaniens, die ich traf. Sie bauten Staudämme und verdienten dabei klotzig. Alle sind froh, den Unsicherheiten Berlins entronnen zu sein. Guter Verdienst bei mäßigen Steuern ist für viele ein mächtiger Anreiz. Kein Facharbeiter in Australien, der in der Woche weniger als 15 Pfund verdient, das sind rund 130 DM für 40 Stunden. Hat er Glück und merkt es die Gewerkschaft nicht, so kann er am Wochenende beim privaten Wohnungsbau helfen und nochmals 10 Pfund verdienen; oder in den Wäldern Tasmaniens doppelt bezahlte Ueberstunden leisten. Zum Leben braucht er kaum über sieben bis acht Pfund in der Woche.
Fast elf australische Pfund sind in Sydney für die einfachste Arbeit Mindestlohn und sollen eine mehrköpfige Familie ernähren. Weniger darf kein Arbeitgeber zahlen. Man wird aber heute in Sydney niemanden finden, der nur 100 DM die Woche verdient. Bereits 18jährigen Lehrlingen werden von den Eisenbahnen 110 DM die Woche geboten; dazu mehrwöchiger bezahlter Urlaub, Freifahrkarte und alle möglichen sozialen Leistungen.

Mancher Einwanderer kann sich während seines ersten zweijährigen Kontraktes bis zu 10 000 DM ersparen. Auch der einfachste Arbeiter hat die Chance, sich schnell selbständig zu machen, sofern er sich eine Wohnung und Werkstatt mitsamt Einrichtung „organisiert“. Kein Land bietet gerade dem tüchtigen Facharbeiter so leichten und schnellen Aufstieg in den selbständigen Mittelstand. Hat er eine junge Frau ohne europäische Vorurteile, die vorübergehende Trennung auf sich nimmt und irgendeinen weiblichen Mangelberuf ergreift, ob als Hausangestellte, im Hotelwesen oder als Verkäuferin ( alle weiblichen Berufe sind Mangelberufe), so ist die „bürgerliche Existenz“ nach zwei Jahren bombensicher – wenn man durchhält. Unbegrenzt sind auch die Möglichkeiten für Landwirte, die bereit sind, Entbehrungen auf sich zu nehmen, schlecht zu wohnen, und auf gute Schulen für ihre Kinder zu verzichten.

Der „Sydney Morning Herald“ enthält täglich Stellenangebote von fast 10 Seiten, und am Wochenende das Doppelte. Werber australischer Firmen bereisen heute England, Holland und vor allem Deutschland, und suchen fieberhaft nach geeigneten Kräften. Australien mutet heute vielfach an wie der Turmbau zu Babel, der ein Gemisch von Arbeitern und Bauunternehmern vieler Nationen und Sprachen heranzog. Wo immer Hitze und Wasserverhältnisse es zulassen, wird gebaut: Kraftwerke, Dämme, Bahnen, Straßen, neue Städte, Kohlengruben, Wohnungen, Ueberlandleitungen. Aber überall wird sehr langsam gebaut, denn es fehlt an Arbeitern, Arbeitseifer, Wohnungen, Rohstoffen, Organisation, Ausrüstung, kurz an allem.

Australien hat die beste Kohle und den besten Stahl der Welt, aber seine Werke laufen nur auf halben Touren, weil die Gewerkschaften es nicht anders wollen und die Unternehmer verzagt sind. Wenige kommunistische Agitatoren (meist geschickte Funktionäre) beherrschen die Gewerkschaften der wichtigsten Zweige: Häfen, Transport, Kohle, Stahl, Metallverarbeitung. Die Kommunisten haben es in den letzten Jahren sattsam vorexerziert, wie sie Australien und auch Neuseeland mit einem Schlage stillegen können, nämlich von den Häfen aus, und durch den Klassenkampf.

Dabei liefert die Natur die beste Wolle der Welt und wertvolle Metalle; aber wenn nicht die 130 Millionen Merino- und Croßbred – Schafe, ungeachtet der 40 – Stunden – Woche und Klassenkämpfe, grasen und ihr wertvolles Vlies wachsen lassen würden, wäre der Kontinent schon längst gescheitert, und zwar an seinen Menschen. Seit einem Jahrhundert firmiert Australien unter der Bezeichnung „Land der Zukunft“. Im Gegensatz zu USA, das an Fläche – aber nur an Fläche – genau so groß ist wie Australien, blieb es allerdings bisher bei der Zukunftsmusik.

Heute liegen zwei Australien im Kampf miteinander, das alte und das neue. Erst die Historiker werden genau klären können, wer den Grundstein des neuen Australien legte. Vielleicht die japanischen Bomben auf den Flug- und Seehafen Darwin im Norden, oder die Granaten jenes japanischen U-Bootes, das sich1942 in die Förde von Sydney schlich und die Wohnviertel des Stadtteiles King“s Cross in Panik versetzte. Oder Korea und das Ende der europäischen Kolonialherrschaft in Asiens „Nahen Norden“ (wir in Europa sagen dazu „Ferner Osten“), oder die neuen Nationalstaaten. Jedenfalls entstand das neue Australien nicht ausinnerem Drang, sondern aus der Panik über das neue Asien. Plötzlich blitzte es den Australiern auf, daß sie heute an der ungeschützten Peripherie des britischen Weltreiches leben.

Alle Solidarität mit England und selbst der pazifische Verteidigungspakt mit USA und Neuseeland verändern nicht die Tatsache, daß aus der Inseltreppe zwischen Australien und dem asiatischen Festland eine gefährliche Aufmarschstraße kommunistischer Bedrohung geworden ist. Man weiß, wie sehr man sich künftig selbst verteidigen muß, und daß England und USA in einem dritten Weltkrieg weitab von Australien gebunden sein werden. Ganz zu schweigen von dem Mißbehagen der Australier über den Freipaß der Aufrüstung, den Japan von USA erhalten hat. 8,5 Millionen Australier sehen sich jetzt 800 Millionen Asiaten gegenüber, und daraus entstand plötzlich ihre neue „nationale Aufgabe“. Sie lautet:
* beschleunigte Steigerung der Menschenzahl und vor allem schnellste Erschließung des Kontinents. Die Landreserven, besonders im tropischen Norden, müssen nutzbar gemacht werden, um Asien zu beweisen, daß Australien kein leerer Kontinent mehr ist, der zur Invasion herausfordert.

Noch vor einem Jahrzehnt sprach man vom „Mythos der leeren Räume“ und meinte, man könne den Kontinent nicht dicht besiedeln. Aber die Technik steht nicht still. Der Perther Geograph Gentilli meint, nach amerikanischem Stande könne allein die landwirtschaftliche Bevölkerung etwa 9 Millionen Menschen erreichen. Da nur knapp ein Sechstel der Australier in der Landwirtschaft tätig ist, ergäbe sich daraus rein rechnerisch eine mögliche Bevölkerung von etwa 60 Millionen.

Aber das alte Australien steht dem neuen im Wege. Es dachte und denkt in Maßnahmen zur Ueberwindung von Absatznot, niedrigen Preisen, Arbeitslosigkeit und Krisen; von Krisen am Weltmarkt und zu Hause. Ihm sitzen die Spannungen und Konflikte von Jahrzehnten schwankenden Glücks, von Baissen und Haussen am Woll- und Metallmarkt, von wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit tief in den Knochen. Das neue Australien aber muß an Expansion und Leistungssteigerung denken. Das politische und wirtschaftliche Erbgut des alten Australien hemmt seine Kaufleute, Arbeiter und Einwanderer.Darüber darf der hohe Lebensstandard der Massen nicht hinwegtäuschen, denn er beruht heute fast ganz auf Raubbau am Boden.

Die hohen Woll- und sonstigen Exportpreise verbergen hinter einem dichten Geldschleier, daß die Produktion seit den dreißiger Jahren fast stillsteht. Wo sie höher ist, reicht sie nicht aus, oder sie erfolgt an falscher Stelle.
Das alte Australien zeigt nicht nur äußere Zerfallserscheinungen, wie den ungeheuren Wohnungsmangel, der selbst Tausende von alten Australiern in Zeltstädte zwingt und die Einwanderer in dürftigen Notunterkünften festhält. Die Probleme gehen viel tiefer. Sie liegen einmal in kostspieligen Industrieentwicklungen und in Zusammenballungen der Menschen auf wenige Großstädte. Zum anderen im Stillstand der sog. Urproduktion, d. h. von Landwirtschaft und Bergbau.

Hohe Zölle, die praktische Ausschließung amerikanischer Waren, die Lieferschwierigkeiten Englands, der niedrige Kurs des australischen Pfundes und vieles andere begünstigen die Industrie zu einer Zeit, in der alle Energien restlos der Urproduktion dienen sollten. Kluge Volkswirte, wie der Brisbaner Dr. Colin Clark, predigen seit langem, daß die nächsten Jahrzehnte hohe Weltmarktpreise für Rohstoffe bringen werden und Australien alles tun soll, um die Rohstoff- und Agrarproduktion auszubauen. Denn die Ausdehnung Australiens hängt davon ab, wieviel es jährlich exportieren und folglich an Maschinen und sonstigen knappen Materialien einführen könne.

Wichtigste Schadstelle ist der Mangel an Vertrauen zwischen Unternehmer und Gewerkschaften. Die Ursachen sitzen tief und hängen damit zusammen, daß seit Jahrzehnten fast alle wichtigen Streitfragen letztlich durch Dritte, nämlich staatliche Zwangs-Schiedsgerichte entschieden werden. Beide Seiten ziehen das Urteil des Kadi der vertrauensvollen Zusammenarbeit vor. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften bilden zusammen mit den Schiedsrichtern eine jenseits der Betriebe liegende Schicht der Funktionäre. Die wahren Grundlagen betrieblicher Leistung sind verschüttet. Die Unternehmer verließen sich seit jeher auf Hochschutzzölle. Sie fürchten einen Wettbewerb des Auslandes, und die Zollfunktionäre verhindern ihn. Die Industrie ist ein Gestrüpp von Monopolen und Kartellen. Schon vor dem Kriege kam eigentlich nur noch die Wolle ohne staatliche Subsidien aus.

Der Australier hat zwar mit dem Amerikaner den hohen Lebensstandard gemein, aber dann trennen sich die Wege: der Amerikaner verlangt von seinem Kontinent die höchste Chance für höchste Leistung, als Quelle steigenden Lebensstandards. Der Australier aber verlangt nur den hohen Lebensstandard, möglichst ohne Leistung. Er meint, der reiche Kontinent schulde ihm eine Art von „Narrenparadies“, in dem er leben möchte. Im Blei- und Zinkerz-Zentrum von Broken Hill, der Wiege des australischen Reichtums, erhalten die Arbeiter aus den hohen Metallpreisen einen Bleibonus von fast 200 DM wöchentlich, so daß der Lohn des Bergmanns 300 bis 350 DM pro Woche beträgt. Aber je höher der Lohn, desto kürzer die Arbeitszeit, heute nur noch wenig über 30 Stunden. In Bergbau, Viehzucht und Industrie „ißt“ man einfach die Bodenreichtümer auf. Durch die Verkoppelung der Mindestlöhne mit dem Index der Lebenskosten, die alle drei Monate zu automatischen Anpassungen führt, wurde seit der Wollhausse die Inflation wesentlich beschleunigt.

Hinzu kommt auch der sonst überall bemerkbare Verlaß des Australiers auf den Staat. Die sozialen Leistungen, an denen auch die Einwanderer meist sofort teilnehmen, betreuen die Menschen von der Wiege bis zum Grabe und entsprechen mehr dem müden Europa als einem jungen Kontinent mit neuen Aufgaben. Bei der Bürokratie des Bundes aber stieg das Personal von 12 000 im Jahre 1939 auf heute fast 90 000 und die Gesamtzahl aller öffentlichen Angestellten um rund 400 000, d. h. um mehr als die gesamte verarbeitende und ihrerseits pilzmäßig aufgeschossene Industrie. Im gleichen Zeitraum sank die landwirtschaftliche Beschäftigung um 19 000.

Die deutsche Wirtschaftserholung seit 1948, auf die ich in Vorträgen mehrfach verwies, löste Bewunderung und bei Unternehmern Unwillen über die eigene Stagnation aus. Liegen doch viele Produktionsziffern heute kaum über der Vorkriegszeit. Ludwig Erhard hätten dabei die Ohren klingeln müssen. In Perth meinten Mitglieder des Verbandes der australischen Nationalökonomen, was Australien brauche, sei ein „Stückchen Ludwig Erhard“ und des guten Arbeitswillens deutscher Menschen und Gewerkschaften. Denn auch die Gewerkschaften verwalten in Australien mehr die Knappheit als die Expansion: Wehe dem Einwanderer, der mehr Ziegel legt als die Gewerkschaften vorschreiben!

Kein Wunder, daß Führer von Industrie und Kirche kürzlich einen moralischen Aufruf an das australische Volk erließen: „Australien ist in Gefahr. Wir sind in Gefahr von draußen, wir sind in Gefahr zu Hause. Wir sind in Gefahr aus moralischer und geistiger Apathie, dem Todfeinde der Menschheit; Apathie schwächt den Willen, verdunkelt das Verstehen und verbreitet üble Spannungen. Wir rufen alle Australier auf, sich um die Steigerung ihres moralischen Standards zu bemühen.“ Aber noch vor wenigen Monaten forderten die Gewerkschaften die Dreißigstundenwoche, Leistungsprämien lehnten sie ab. Und die Freizeit scheint sich in Tavernen und auf Rennplätzen zu erschöpfen.

Aber der fünfte Kontinent hat nicht nur Schattenseiten. Die Australier beginnen selbst ihre Schwächen zu sehen und wollen sie überwinden. Bis 1960/61 soll die Bevölkerung von heute etwa 8,5 Millionen auf 10 bis 11 Millionen Menschen gesteigert werden. Man bezeichnet dieses Ziel als „gigantisch“ und ist bereits um die Eigenernährung in zehn Jahren besorgt, aber man schweigt betreten, wenn man hört, wie viele Millionen das schwache Deutschland in wenigen Jahren eingliedern konnte. Die sozialistische Chifley-Regierung hatte sich bereits 1947 ein Jahres-Einwanderungsziel von 70 000 gesetzt. Nachfolger Menzies steigerte diese Zahl auf 200 000. Heute rechnet man mit einer jährlichen Zuwanderung von 100 000 bis 150 000.

Australien holt sich die Einwanderer vor allem aus England, auf das man nach wie vor die größten Hoffnungen setzt. Mehr als die Hälfte auch der künftigen Einwanderer-Kontingente wird aus Briten und Iren bestehen, denn Australien ist eines der englandtreuesten Dominions. Sein Leben ist auch heute noch mehr auf England als auf die natürlichen Verhältnisse des Kontinents zugeschnitten. Deutsche Kaufleute betreten mit Australien ein zu 95 Prozent britisches Land. Seine Bewohner haben die Vorzüge britischer Gastlichkeit und freiheitlicher Aufgeschlossenheit, aber auch die Neigung eng zusammenzuhalten, im Krieg, Frieden und – Geschäft.

Im Grunde mag der Australier außer Engländern nur germanische Einwanderer, voran Schweden, Norweger und Dänen, die aber kaum kommen. Am wenigsten mag er Süd- und Osteuropäer. Die Italiener zieht es oft in die Städte, um so schnell wie möglich Obstläden zu eröffnen. An den Griechen liebt man nicht, daß sie möglichst schnell Restaurants aufmachen wollen. Deutschland steht als Quelle von Einwanderern in steigendem Kurs. Der Krieg hat wohl eine anti-japanische Stimmung hinterlassen, aber keine anti-deutsche. Die vorbildlichen Siedlungen unserer deutschen Vorväter im Barossa-Tal Südaustraliens oder in Darling Downs von Queensland sind immer noch unsere besten Visitenkarten.

Bis zum Abschluß eines deutsch-australischen Einwanderungsvertrages können Deutsche nach Australien nur auswandern, wenn sie dort von Einzelpersonen, Firmen oder Behörden angefordert werden, die ihnen zweijährige Arbeitskontrakte und Unterkunft bieten. Deutsche arbeiten heute an zahlreichen Projekten, wie z. B. in den Snowy Mountains, in den Talsperren-Arbeiten auf Tasmanien, an Kohlenprojekten, beim Wohnungsbau, den Staatsbahnen etc. Man wirbt vor allem um deutsche Facharbeiter, d. h. Zimmerleute, Schlosser und eigentlich alle gelernten Handwerker. Nicht gefragt sind Angestellte, Intellektuelle; die freien Berufe*). Besonders die australischen Aerzte sind hermetisch zu Monopolen abgeschlossen.

Wer als Ausländer Fuß dort fassen will, muß praktisch alle Examen in englischer Sprache nachmachen.
Jeder einwandernde Arbeiter braucht die gewerkschaftliche Anerkennung und ist praktisch schon Gewerkschaftsmitglied, ehe er seine Arbeit antritt. Die Gewerkschaften sind gegenwärtig einwanderungsfreundlich. Einige Firmen – Anwerber bereisen heute Deutschland zusammen mit Gewerkschaftsvertretern. Die prüfen die handwerkliche Qualifikation jedes einzelnen Kandidaten und ersparen ihm den sonst notwendigen Fertigkeitsnachweis in Australien selbst. Wer seine Meisterprüfung erst in Australien selbst nachmacht und durchfällt, wird als un- oder angelernter Arbeiter eingestuft. Neben Facharbeitern sind deutsche Techniker, Ingenieure und Spezialisten gefragt, von denen zahlreiche bereits in mehr oder weniger langfristigen Kontrakten für das Nationale Entwicklungsministerium arbeiten. Die australische Industrie leidet derart unter Mangel an Management und talentierten Fachkräften (und Maschinen), daß solche Einwanderer aus Deutschland später von der privaten Wirtschaft wie warme Semmeln übernommen werden.

Australien bietet Deutschland in einem Punkte mehr als manches maschinen- und technikhungrige Entwicklungsland anderswo: es bietet die Möglichkeit, große Entwicklungskontrakte mit einer das Flüchtlingsproblem erleichternden Auswanderung zu verbinden. Bereits dieses Jahr mag es zu einem Einwanderungsvertrag kommen, etwa nach dem Typ des holländischen oder italienischen. Vor allem wenn die von Australien eingeladene deutsche Einwanderungskommission ihren Bericht erstattet hat. Dann werden, im Gegensatz zu heute, die Familienmitglieder gleich mitgenommen werden können.

Es wäre zu empfehlen, in Gemeinschaft mit Firmen Australiens und anderer Länder so etwas wie „Entwicklungspakete“ anzubieten. Diese „Pakete“ würden enthalten: Maschinen, Ingenieure, technische Verfahren, Patente, Management-Talente und Arbeiter mitsamt ihren Wohnungen und einem Teil der Einrichtungen. Neuerdings unterzeichnen westdeutsche Baufirmen schon große Kontrakte, die sie zugleich verpflichten, ihre Arbeiter und Techniker mitzubringen. Viele Ausschreibungen verlangen, daß bis zu 90 Prozent der benötigten Arbeitskräfte und alle in Australien fehlenden Materialen mitgebracht werden. Für Bau- und Industrieausrüstungsfirmen vom Typ Hochtief, Miag, Hein Lehmann & Co., Stephansdach und viele andere ist Australien ein verlockendes Feld der Expansion. Diese Firmen wissen natürlich, welche ungeheuren organisatorischen und technischen Schwierigkeiten, auch solche bürokratischer Natur, ganz zu schweigen von der Beschaffung des Frachtraumes, überwunden werden müssen. Aber die Auswanderung im Rahmen solcher deutschen oder deutsch-australischen Baukontrakte erleichtert den Auswanderern die Assimilierung.

Man sollte deshalb die Auswanderung und den Export nach Australien bald irgendwie in ein vertragliches System bringen. Der jetzige Zustand ist unbefriedigend. Werber aus vielen Entwicklungsländern kämmen unsere Arbeiterschaft durch, und unsere Industrie und die Arbeitsämter sehen mit süßsaurer Miene zu. Mancher Facharbeiter geht nach draußen, um ausländische Baukontrakte der Konkurrenz durchzuführen, die uns andere Länder nur deshalb wegschnappen konnten, weil sie mit unserem Arbeitspotential rechneten. Andererseits verbietet uns (ganz abgesehen von dem Druck des Flüchtlingsproblems) bereits das Grundgesetz, die Freiheit der Auswanderung einzuschränken.
Wohl aber müssen wir unsere Landsleute vor Illusionen bewahren. Es gibt in der Welt keine unerschlossenen Paradiese mehr. Die zentnerschweren Goldklumpen, die man vor 60 Jahren in Australien fand, sieht man nur noch als Gipsabgüsse in den Museen.

Zwischen der Bundesrepublik und Australien werden Besprechungen über ein Auswanderer-Abkommen geführt. Noch im März soll eine deutsche Delegation in Canberra eintreffen, um die Möglichkeiten eines zweiseitigen Abkommens zu untersuchen, wie es bereits zwischen Australien und Italien bzw. Holland besteht.